20.07.2016 | Kampagne
Die IG Metall plädiert für einen grundlegenden, solidarischen Neuaufbau des Systems der Alterssicherung in Deutschland. Denn: Die Weichen in der Alterssicherung sind falsch gestellt. Darüber kann auch die aktuell gute Situation der gesetzlichen Rentenversicherung nicht hinwegtäuschen. Trotz überdurchschnittlicher Rentenanpassungen sind die massiven Strukturprobleme nicht zu übersehen. Wenn nichts passiert, wird das Rentenniveau weiter deutlich sinken und die Regelaltersgrenzen werden weiter steigen. Weder die betriebliche Altersversorgung noch die Modelle der Privatvorsorge werden diese Lücken schließen können.
Das langfristige neue Sicherungsziel der gesetzlichen Rente muss beteiligungsorientiert festgelegt werden. Wir brauchen statt einer gesellschaftlichen Spaltung eine breite gesellschaftliche Debatte über Leistungsziele und Beitragssätze.
Seit der Jahrtausendwende ist das Rentenniveau um knapp 10 Prozent auf 47,5 Prozent gesunken. Standardrentner erhalten damit heute 1.370 Euro. Dieses Niveau darf nicht noch weiter sinken. Die Renten müssen wieder an die Entwicklung der Löhne und Gehälter angekoppelt werden. Dazu muss der Gesetzgeber spätestens 2021 die Dämpfungsfaktoren in der Rente (Nachhaltigkeits- und Beitragssatzfaktor) aus der Rentenformel schrittweise herausnehmen.
Obwohl der Gesetzgeber die private Altersvorsorge zum Standard erhoben hat, kann bzw. will sich das nur ein Teil der Bürger leisten. Das schwächt das gesetzliche System und die soziale Absicherung der Menschen. Künftig muss es wieder alleinige Aufgabe der gesetzlichen Versicherung sein, das gesamte gewünschte Versorgungsniveau zu erzielen. Die IG Metall schlägt vor, die gesetzliche Standardrente auf 1.450 Euro (in heutigen Werten) um 5,25 Prozent angehoben werden. Das entspricht den heute unterstellten Gesamtversorgung aus gesetzlicher Rentenversicherung und Riester-Rente.
Die derzeit angenommene Standardrente von 1370 Euro erhalten Rentner in der Realität eher selten. Ein Grund dafür ist, dass die unterstellten 45 Entgeltpunkte (45 Erwerbsjahre mit Durchschnittsverdienst) nicht die typischen Erwerbsbiografien widerspiegeln. Der tatsächliche Durchschnitt liegt selbst bei langjährig Versicherten nur bei 43 Entgeltpunkten, die deshalb den neuen Rechen-Standard bilden sollten.
Wer weniger als 75 Prozent des Durchschnitts verdient braucht eine Aufwertung der Rentenansprüche. Dazu muss die 1992 abgeschaffte Rente nach Mindestentgeltpunkten wieder eingeführt werden. Arbeitslosigkeit, Kindererziehung und Pflege dürfen die Rente nicht weiter schmälern. Die Grundsicherung im Alter muss angehoben werden; betriebliche und private Vorsorge darf nicht mehr voll darauf angerechnet werden.
Die Vermeidung von Altersarmut darf nicht allein den Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Rahmen der Rentenversicherung aufgebürdet werden. Diese soziale Absicherung muss systemgerecht aus Steuermitteln finanziert werden. Dazu sollen freiwerdende Mittel aus der wegfallenden Riesterförderung umgeschichtet und die Steuerpolitik sozial gerechter angepasst werden.
Rund zwei Drittel der Selbstständigen und Freiberufler fallen durch das Raster der obligatorischen Alterssicherung. Künftig müssen alle Erwerbstätigen, darunter auch Beamte und Politiker, in eine solidarische Erwerbstätigenversicherung einzahlen. Eine höhere Beitragsbemessungsgrenze könnte die gesetzliche Rentenversicherung auch für die Bezieher höherer Einkommen attraktiver machen.
Willkürlich festgeschriebene Beitragssatz-Ziele entziehen der gesetzlichen Rentenversicherung notwendige Mittel. Davon profitieren nur Arbeitgeber, weil die Beschäftigten ein sinkendes Rentenniveau alleine schultern müssen. Die eingeführte staatliche Förderung privater Vorsorge verpufft an den Finanzmärkten und in den Gewinnen der Versicherungswirtschaft. Die paritätisch von Arbeitgebern und Beschäftigten finanzierte Rente ist und bleibt die sozial gerechteste Altersversorgung.
Die Mehrheit der Beschäftigten sieht sich gezwungen, bereits vor dem gesetzlichen Rentenalter aus dem Berufsleben auszusteigen. Unterschiedliche Anforderungen und Belastungen in den Berufen sprechen gegen eine starre Einheitsgrenze beim Alter. Künftig müssen passgenaue Übergangsoptionen für eine erreichbare Regelaltersgrenze sorgen, die sich an der individuellen Situation und den Bedürfnissen der Beschäftigten orientiert. Schwerpunkte dazu sind der Ausbau der Altersteilzeit, die Rente mit 63 für alle und abschlagsfreie Erwerbsminderungsrenten.
Die betriebliche Altersversorgung muss eine stärkere Rolle erhalten und eine gestärkte gesetzliche Rente ergänzen. Die Stärken der betrieblichen Altersversorgung liegen in den institutionellen Strukturen, der Tradition einer anteiligen bis alleinigen Arbeitgeberfinanzierung und geringeren Kosten für Solidarausgleiche. Die betriebliche Altersversorgung muss deshalb sowohl tarifpolitisch als auch arbeits-, sozial-, steuer- und betriebsverfassungsrechtlich gestärkt werden.
Ziel der Rente der Zukunft muss sein, trotz des demografischen Wandels auch den jungen Beschäftigten eine auskömmliche Altersabsicherung zu garantieren. Dazu muss die Rentenversicherung zusätzlich zum Umlagesystem eine Demografiereserve aufbauen dürfen. Die Obergrenze von derzeit 1,5 Monatsausgaben als Finanzpolster muss abgeschafft werden.